Verstorbene
heute – 2017
01.12.1959 - 05.06.2024
14.02.1955 - 14.05.2024
02.02.1958 - 08.09.2023
25.02.1969 - 25.10.2022
02.07.1957 - 28.09.2022
27.11.1962 - 08.04.2022
01.09.1977 - 28.10.2021
11.09.1977 - 05.03.2021
03.12.1950 - 22.12.2020
09.09.1959 - 09.12.2020
23.05.1964 - 24.08.2020
01.11.1941 - 04.07.2020
24.06.1963 - 06.02.2020
02.04.1962 - 11.01.2020
09.07.1960 - 15.11.2019
21.12.1944 - 21.07.2019
12.07.1972 - 22.04.2019
19.01.1942 - 04.04.2019
06.06.1959 - 24.02.2019
22.09.1970 - 21.02.2019
Als Familie von Reiner (Charlie) gibt es keine schönere Erinnerung an sein Leben als dieses treffende Gedicht seiner guten Freunde Iris und Martin.
Charlie, Du bleibst immer in unseren Herzen. In liebevoller Erinnerung an unseren Reiner… wir alle trauern und es ist sehr schwer, unser Reiner fehlt uns doch sehr.
Sein spezieller Humor und seine eigene Ausdrucksweise, nahm er für immer mit auf seine Reise.
Ein jeder schmunzelte bei seiner Wortwahl gern, mit dieser kleinen Geschichte ist er uns nicht fern…
An einem Spätsommertag im August, da hatte unser Reiner große Lust, am Abend nett auszugehen und liebe Freunde zu sehen.
„Früh“ erwacht, so gegen nachmittags um vier, erstmal Kaffee und „Fluppe“, sonst geht nix hier!
Dann ging unsere „Diva“ ins Bad und „in die Maske“, bis das letzte Haar gegelt und die Frisur passte!
Noch nett ins „Leder-Dress“ geschwungen, und schon war der halbe Abend gelungen!
Das „Cabrio“ war startklar, denn es wurde Zeit, die „Droschke“ bestellt, sie stand schon bereit.
Na, und wo ging die Fahrt wohl hin? Natürlich in sein „2. Wohnzimmer“ – ins Wolf’s Inn!!
Denn sein „Schnucki“ hatte am Abend die Schicht, ohne ihn und die Freunde ging es nicht!
Sein Lieblingsplatz nicht etwa dort oder hier, nein, die „Verlobungsbank“, das alle wissen wir!
Der „heiße Feger“ ihn herzlich begrüßte, mit selbstgemachter Torte oft den Abend versüßte.
Diese wurde ganz ungeniert, von ihm einfach „inhaliert“!
Vorher wurde noch gerufen, denn das war Sitte:
„Schnucki, für mich einen Zitronentee bitte“!
Und später, zu fortgeschrittener Stunde, machte noch ein „Verdauungskräuter“ seine Runde.
Den AVERNA hatte er sich auserkoren und mochte ihn sehr,neben dem „Teechen“ gab’s den „Absacker“ – gern mal mehr.
Wir trafen uns und quatschten die ganze Nacht, über Theater, Konzerte, alles was Freude macht.
Wenn er sein „kleines Büro“ verlangte und bekam, wurde plötzlich präzise unser Aktivitäten-Plan!
Viel gelacht, an Wortwitz war er wahrlich nicht arm, selbst das ungeliebte Krankenhaus, hieß bei ihm „Schönheitsfarm“.
Dann wurde es Zeit für uns und er blieb noch da, unser Reiner meist der letzte Gast hier war.
„Wir funken“ rief er noch und nahm seinen „Drink“, die Nacht bis zum Morgen, das war genau sein Ding!
Der Himmel wurde heller, er war nun bereit zu gehen, der „Fernsprecher“ blieb bei der Taxinummer stehen.
Seine letzte „Droschke“ fuhr vor und wartete draußen im 1. Gang, nahm unseren Reiner mit in den morgendlichen Sonnenaufgang….
Wir werden Dich sehr vermissen.
Deine Iris & Martin
30.05.1949 - 15.08.2018
12.12.1944 - 21.04.2018
24.08.1958 - 22.01.2018
26.04.1965 - 06.01.2018
19.03.1963 - 14.07.2017
29.12.1954 - 23.07.2017
29.08.1952 - 24.03.2017
21.03.1958 - 19.01.2017
2016 – 2011
18.02.1943 - 31.12.2016
06.03.1977 - 14.12.2016
26.07.1971 - 06.04.2016
Lege deinen lieblichen und erschöpften Kopf nieder,
die Nacht bricht herein.
Du bist am Ende deiner Reise angekommen,
Schlafe jetzt und träume von denen die vor uns kamen
Sie rufen von fernen Ufern.
Warum weinst?
Was haben diese Tränen auf deinem Gesicht zu bedeuten?
Schon bald wirst du erkennen, dass all deine Ängste verfliegen werden
Sicher in meinen Armen wirst du einfach nur schlafen
Was kannst du am Horizont sehen?
Warum rufen die weißen Möwen?
Jenseits des Meeres geht ein blasser Mond auf
Die Schiffe sind gekommen, um dich nach Hause zu bringen.
Und alles wird sich in silbernes Glas verwandeln,
im Licht auf dem Wasser, dass alle Seelen passieren.
Ein einfühlsames Lied über den Tod.
„Into the West“ (aus Herr der Ringe)
Von Annie Lennox
Ich stehe nun hier vor Euch um Ingo’s letzten Wunsch zu erfüllen.
9 Wochen ist es her, dass Ingo im Kreise meiner kleinen Familie sich etwas erholen und Kraft tanken wollte.
Die Hoffnung auf baldige Besserung gab er zu keiner Zeit auf. Für ihn gab es noch so vieles, was er tun und erleben wollte.
Er blieb 2 Wochen und kehrte dann nach Berlin zurück.
Täglich rief er ein bis zwei Mal an, nur um uns mitzuteilen – „Es ist alles gut- vieles geht schon besser- macht euch keine Sorgen- Alles ist gut.“
Am 04.April blieb es am anderen Ende des Telefons still. Nur ganz leise ahnten wir, dass diese Stille für immer sein könnte.
Am 06.April wurde aus der leisen Ahnung, Gewissheit.
Nach langer schweren Krankheit, schloss Ingo für immer seine Augen, sein gutes Herz hörte für immer auf zu schlagen.
Wir haben uns heute, an diesen Ort versammelt um vom Sohn, Bruder, Cousin, Neffen, Onkel, Schwager und Freund
Ingo
Abschied zu nehmen.
Ingo wurde am 26. Juli 1971 in Sangerhausen geboren und wuchs mit seinen Geschwistern Sandra, Marko und Keith in Sangerhausen und Hohlstedt auf.
Er besuchte Kinderkrippe und Kindergarten und bekam, wie jedes Kind, zur Einschulung 1978 eine große Zuckertüte.
Die Polytechnische Oberschule besuchte er 10 Jahre und hängte noch zwei weitere Schuljahre hinten an, sodass er 1990 sein ABI in den Händen hielt.
Von 1990 bis 1993 ließ er sich im Hotel und Restaurant „Deutsches Haus- Horst Elbe“ zum Hotelfachmann ausbilden und war im selbigen von 1995 bis 1996 tätig.
Auf eigenen Wunsch und zum Bedauern des damaligen Arbeitgebers, verließ er das Hotel und kehrte auch der Stadt Alfeld den Rücken, um sich in Berlin, das er so liebte, nieder zu lassen.
Leicht war es für ihn nicht in Berlin Fuß zu fassen. Mittlerweile war bei Ingo auch AIDS ausgebrochen und nur Gelegenheitsjobs bis zur Erwerbsunfähigkeitsrente möglich.
Er kämpfte, bis in den Tod hielt er Berlin die Treue, denn nur hier konnte er sich leben und frei sein, er musste sein Schwul-Sein niemals verstecken. Hier war er Ganz und Heil.
Zu kurz war sein Leben- zu kurz sein Lebenslauf- Ich hätte gern noch viel mehr hinzugefügt.
Als meine Tochter und ich nach Berlin gefahren sind, um Ingo´s Bestattung zu regeln, war es uns ein Bedürfnis die Freunde zu treffen, die Ingo umgaben- sie waren sein Leben.
In den Gesprächen mit ihnen stellten wir verwundert fest, dass Jeder etwas – doch nicht alles wusste, was uns zunächst alle erstaunen ließ.
Wie knüpfen wir an, an ein früheres Leben, wenn wir tief im Herzen zu verstehen beginnen, dass wir nicht mehr zurückkönnen.
Das Lied was nun gespielt wird, ist für uns alle und für jeden einzelnen von Euch!
„In meinem Leben- gesungen von Nena“
Ich hoffe, Ihr versteht mein Leben jetzt ein klein wenig besser.
Dieses Lied ist ein Dankeschön an meine Geschwister Sandra, Marko und Keith – sie gaben mir familiären Halt, an Frank Most, an meine Nichte Anika – die mich überall hinfuhr, an meinen Schwager Jens, an seine Eltern Gerlinde und Erwin – die mich mit Wunschessen bei Besuchen versorgten. An Tante Monika, an meine Cousinen Ivonne mit Pauline und Andrea, an meine besten und dicksten Freundinnen und Klassenkameradinnen Daniela Nielsen und Diana Dienstbier.
Einen ganz lieben Dank an Gerald Ofcarek, ich umarme dich mein Freund, Geliebter und Gefährte – Es war schön dich zu kennen und einen Platz in deinem Leben einnehmen zu können. Du warst da – in meiner größten Not und hast nicht gezögert zu helfen.
Danke mein Freund
Eine ganz dicke Umarmung für dich, liebe Tina, meine ganz persönliche Taxifahrerin zum Einkaufsbummel. Danke für deine mütterliche Fürsorge, für all deine Hilfe, die du mir zukommen ließest.
Danke schön an Betty, Sille und Konstanze Zakrotnik.
Ein ganz besonderer Dank und eine dicke Umarmung an Yvonne Burda und ihren Praxisteam- die Hilfe die mir hier zuteilwurde, bezog sich nicht nur auf Zahnweh – sie halfen meinen Freund Gerald als er sie am dringendsten brauchte. Danke.
Nicht zu vergessen sind meine beiden kleinen Schutzengel Donna und Daniela, die mich nicht nur einmal vor törichten Handlungen bewahrt haben. Danke für eure schützenden Hände.
Die Ausflüge nach Frankfurt und Köln werde ich vermissen.
Danke an Barbara Göppl und dem Team der Gastronomie für die vielen Lunchpakete, mit Gurken- und Tomatensalat und anderen leckeren Sachen. Für ihre Hilfe und ihr Engagement zu dem heutigen Anlass – einen großen Dank.
Großen Dank auch an alle Leute, des Berliner Ruderclub e.V. Wannsee – für die große Zuwendung, die mir zuteilwurde – es ist schön einen Platz in eurer Mitte zu haben.
Danke an die Leute vom Pussycat, die AIDS-Stiftung, an die Praxis von Dr. Baumgarten, an die Station 12c der Auguste-Victoria-Klinik, an den Verein DenkmalpositHIV und alle die mich kennen und die ich nicht namentlich erwähnen konnte.
Nochmals vielen Dank für eure liebevolle Wegbegleitung
EUER INGO, EURE INGE, EURE INGESCHATZMAUSI
Die Hoffnung verblasst in der Welt der Nacht
Durch Schatten entfällt sie der Erinnerung und der Zeit
Sag nicht, dass wir am Ende angekommen sind.
Weise Ufer rufen.
Du und ich werden uns wiedersehen.
Bevor wir mit Ingo seinen letzten Weg gehen, lauschen wir noch sein Lieblingslied.
„Together we are strong – von Mireille Mathieu und Patrick Duffy“
Lasst uns nun gehen, um Ingo´s Asche in die Erde, der Stadt Berlin – die er so liebte – einzubetten.
Berlin, der 06.05.2016, 14 Uhr
Alter St. Matthäus Kirchhof Berlin
Geschrieben von seiner Schwester
Sandra Krüger
19.03.1966 - 03.03.2016
27.04.1959 - 22.01.2016
15.05.1949 - 13.01.2016
22.11.1948 - 23.09.2015
11.10.1948 - 03.09.2015
Liebe Sabine, liebe Anna, liebe Freunde von Chrissy, liebe Trauergäste.
Der heutige Tag ist ein weiterer Abschiedstag von Christa Grandmont. Ein weiterer deshalb, weil es für viele schon eine Reihe von Abschieden von Christa gegeben hat: Letzte Besuche bei ihr, letzte Gespräche mit ihr, ein letzter Händedruck – es gab viele solcher Momente, manche wurden Ihnen als Abschied bewusst und Sie haben sie als solche gestaltet, manche waren Begegnungen ohne dass klar war, dass es die letzte sein wird.
Heute hingegen haben alle, die sich auf den Weg hierher gemacht haben, eine bewusste Entscheidung getroffen. Sie wollen sich hier von Christa (Chrissy) verabschieden. Dafür vielen Dank.
Als Mitarbeiterin des Hospizdienstes TAUWERK habe ich Christa Grandmont im Mai dieses Jahres erstmals getroffen. In den letzten 4 Monaten ihres Lebens durften wir Tauwerkerinnen sie auf ihrem Weg begleiten. Diese kurze, aber sehr intensive Zeit war geprägt von vielen Unsicherheiten, immer wieder neuen Informationen und permanenten Ortswechseln. Ein wirkliches Kennenlernen war unter diesen Bedingungen kaum möglich.
Deshalb bin ich auch nicht sicher, was Christa davon halten würde, dass wir alle hier versammelt sind und dass ich jetzt zu Ihnen spreche.
Im Gespräch mit Dorothea Strauß hat sie gesagt, sie wolle in aller Stille beerdigt werden.
Ich weiß, dass Sabine und alle Freunde von Chrissy diese Aussage ernst genommen haben. Sie haben lange darüber nachgedacht, wie genau Chrissy das „in aller Stille“ gemeint haben könnte. Wollte sie tatsächlich, dass niemand ein Wort sagt auf ihrer Beerdigung oder war die Aussage eher der Tatsache geschuldet, dass Chrissy keine zusätzlichen Kosten verursachen wollte? Ganz sicher wollte sie nicht, dass ihre Beisetzung zu einem Event aufgebläht wird. Sie mochte es nicht, wenn zu dick aufgetragen wurde, lieber war ihr, einfach bei den Fakten zu bleiben. Und bei einer Beerdigung, da wird ein Mensch zu Grabe getragen und genau darum soll es gehen.
In diesem Sinne wollen wir heute versuchen, die Stille, von der Chrissy gesprochen hat, mit einem Bild von Chrissy zu füllen, um sie als die zu würdigen, die sie war: „Chrissy pur“ – ein Mensch, so wie wir alle Menschen sind.
Das Menschsein hatte für Chrissy eine große Bedeutung. Es war ihr wichtig, selbst als Mensch gesehen zu werden und den anderen als Menschen zu sehen.
Es gibt so vieles, das man zu unserer Unterscheidung heranziehen kann: Frau oder Mann, arm oder reich, gesund oder krank, schwul oder hetero… All diese Fragen fand Chrissy eher lästig. Sie versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was uns eint. Im Menschsein sind wir gleich und im Menschsein haben wir eine tiefe Motivation zur Solidarität untereinander – trotz aller Verschiedenartigkeit.
Ich war überrascht, als ich hinter der manchmal etwas schnodderig daherkommenden Frau in Chrissy einen Menschen kennenlernen durfte, der beinahe philosophisch wurde, wenn es darum ging, das zu beschreiben, was uns alle ausmacht, was es heißt, ein Mensch zu sein.
Ich glaube, Chrissy hat es, solange sie lebte, nie aufgegeben sich dem Abenteuer Menschsein zu stellen, mit allem was dazugehört:
Die Welt entdecken, sich eine eigene Meinung bilden, Misserfolge verkraften, lieben, Enttäuschungen erfahren, miteinander lachen, kämpfen, Abschied nehmen, all das und noch vieles Anderes gehört zum Menschsein und zum Leben an sich.
Chrissy wollte sich dieses Leben in all seiner Buntheit nicht vorenthalten lassen.
Sie hat sich im positiven Sinne „Das Leben genommen“, hat das Leben in Gänze und Fülle in sich aufgenommen, allen Unwägbarkeiten zum Trotz.
Gestern hätte Chrissy Geburtstag gefeiert; sie wurde am 11. Oktober 1948 im Ruhrgebiet geboren. Ihre Mutter eine Vertriebene aus dem heutigen Polen, ihr Vater Belgier, der in der deutschen Wehrmacht gekämpft hatte. Dass sie ein Kind von „Fremden“ war, wurde durch ihren Familiennamen besonders deutlich. Auch damals schon reagierten die „Alteingesessenen“ mit Misstrauen und mehr oder weniger offener Ablehnung auf die Fremden. Chrissy wurde als das „Franzosenmädchen“ von anderen gehänselt. Bei den Eltern fand sie wenig Trost, musste im Gegenteil schon sehr früh lernen, dass sie zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen hatte. Von einer unbeschwerten Kindheit in der liebevollen Geborgenheit der Familie konnte keine Rede sein. Schon damals zeigte sich, dass Chrissy mit einer unbändigen Lebenslust ausgestattet war. Andere hätten sich zurückgezogen, um möglichst nicht aufzufallen. Nicht so Chrissy, sie forderte selbstbewusst ihr Recht auf Leben ein, wehrte sich gegen das Unrecht, das ihr wiederfuhr.
An ihrer sogenannten Aufmüpfigkeit konnte auch das katholische Mädcheninternat nichts ändern, in dem sie einige Jahre verbringen musste. Chrissy ließ sich nicht verbiegen, sie folgte dem Ruf des Lebens.
In Hamburg entdeckte sie mit 19 Jahren eine offene, bunte Welt, die mit der stickigen Enge ihrer Kindheit nichts zu tun hatte. Hier verliebte sie sich in einen Seemann, von dem sie kurze Zeit später ein Kind erwartete.
Nachdem ihre Tochter Sabine geboren wurde, lebte Chrissy als alleinerziehende Mutter zunächst wieder bei ihren Eltern. Damals war „alleinerziehend mit Kind“ noch ein skandalöser Zustand. Nach 3 Jahren beugte Chrissy sich dem Druck von außen und heiratete den Vater von Sabine, der seinen Beruf aufgab und fortan bei der Eisenbahn arbeitete.
Mit dem Kind und vielleicht auch für das Kind schuf das junge Paar eine Familienidylle mit der klassischen Rollenverteilung. Immerhin 12 Jahre lang fügte sich Chrissy in die Rolle der Hausfrau und Mutter.
Aber wo war die Buntheit und die Freiheit des Lebens und wo war sie, Chrissy?
Die Ehe wurde geschieden und Chrissy ging mit ihrer Tochter Sabine nach Berlin. Jetzt wollte sich Chrissy endlich selbstbestimmt ihr Leben gestalten. Sie holte abends den Schulabschluss nach und machte eine Ausbildung. Als alleinerziehende Mutter war das sicher keine leichte Aufgabe. Aber Chrissy wollte sich ausprobieren, wollte wissen, was in ihr steckt, was zu ihrem Menschsein gehört.
Irgendwann probierte sie auch eine kleine Menge einer Substanz, die leider dann für viele Jahre Chrissys Leben bestimmen sollte. Sucht ist das Gegenteil von Freiheit und Selbstbestimmung. Chrissy konnte nicht mehr für ihre Maus (ihre Tochter) da sein. Schließlich verlor sie sogar gänzlich den Kontakt zu ihr und auch den Kontakt zu ihrem eigenen Menschsein. …
Aber Chrissy wäre nicht Chrissy gewesen, wenn ihre Lust auf dieses Leben sich nicht doch an die Oberfläche gekämpft hätte, obwohl sie in einem tiefen Sumpf steckte.
Und so wie auf manchem Sumpf die prächtigsten Orchideen gedeihen, so entfaltete sich nach dem Entzug Chrissys Persönlichkeit zu großer Stärke und Ausdruckskraft.
Da war zunächst die Freundschaft. Chrissy knüpfte ein Netz aus wunderbaren, verlässlichen Freunden und nun war es ihr besonders wichtig, diese Freundschaften auch zu pflegen, um das Netz in seiner Stabilität zu stärken. (In der Zeit, als wir Chrissy begleiteten, durfte ich miterleben, wie ihr Freundeskreis für sie da war, und ich kann sagen, dass so mancher sich solche Freunde an seiner Seite wünschen würde.)
Die Musik spielte jetzt auch wieder eine größere Rolle. (Leider hatte ich nie Gelegenheit, Chrissy singen zu hören.) Mir wurde aber gesagt, dass sie gerne sang. Als Teil des Berliner Straßenchors genoss es Chrissy, diese Freude mit anderen zu teilen und ihre Gefühle auf künstlerische Art ausdrücken zu können. Der Chor ist heute auch hier und wird sich – wie sollte es anders sein – mit Gesang von Chrissy verabschieden.
Ein wesentlicher Teil ihrer Persönlichkeit war ihre kämpferische Seite. Chrissy engagierte sich in Selbsthilfegruppen, war bei der Berliner Aidshilfe aktiv, sprach von ihren Erfahrungen, damit andere davon lernen konnten. Chrissy setzte sich dafür ein, dass jeder – egal woher er kommt, egal was er glaubt oder nicht glaubt, egal was er ist oder nicht ist -, dass jeder seinen Platz haben darf und dass niemand ihm das Recht auf sein Menschsein streitig machen darf. In ihrer kämpferischen Art nahm sie kein Blatt vor den Mund. Sie sagte, was sie dachte und es war ihr egal, ob sie damit aneckte oder nicht. Viele der Anwesenden werden sich daran erinnern, wie streitbar Chrissy sein konnte.
Und schließlich entfaltete sich auch der zerbrechlichste Teil ihrer Persönlichkeit wieder: Die Liebe zu ihrer Familie.
Dass es gelang, den Kontakt zu ihrer Tochter Sabine wiederherzustellen, die sich inzwischen zu einer jungen Frau entwickelt hatte, die fest im Leben steht und selbst Mutter einer Tochter ist, versetzte Chrissy noch immer ein wenig in Erstaunen. Beide Frauen hatten den festen Willen, die jeweils andere so zu akzeptieren, wie sie ist. So gelang ihnen ein zunächst zaghafter, aber von beiden Seiten gewollter Neuanfang.
Neugierig und ohne Vorbehalte konnte sich Anna, die Tochter von Sabine, Chrissy nähern.
Chrissy erzählte mir mit großem Stolz von Anna, davon, wie selbständig sie schon ist und dass man sich richtig gut mit ihr über so vieles unterhalten kann.
Für Chrissy grenzte es ein wenig an ein Wunder, wie sich das Leben seinen Weg sucht. Dass sie jetzt dort angekommen war, wo sie war, dass sie Teil eines Beziehungsgefüges war, dass sie sich selbst ausgesucht hatte und jetzt… sogar Großmutter!
Leider blieb Chrissy nicht viel Zeit, um sich in die Rolle der Großmutter einzufinden, denn nur wenige Monate, nachdem sie ihre Enkeltochter kennen gelernt hatte, wurde bei ihr eine Tumorerkrankung festgestellt.
Chrissy war klar, dass die ihr verbleibende Zeit sehr begrenzt sein wird und sie versuchte, sie möglichst sinnvoll zu nutzen. Bei aller Hoffnung, wenigstens noch ein paar Monate mehr Zeit zu haben, stimmte sie nur solchen Therapieansätzen zu, die sie in ihrem Lebensvollzug nicht zu sehr einschränkten. So war es für sie keine Option, mit dem Rauchen aufzuhören. Aber von der Tumoroperation versprach sie sich die Verlängerung ihres Lebens bei akzeptabler Lebensqualität. Mit den darauf folgenden Komplikationen hatte sie nicht gerechnet.
Chrissy hatte verfügt, dass sie nicht künstlich am Leben gehalten wird, sollte keine Hoffnung auf ein selbständiges Leben mehr bestehen. Am 3. September 2015 entschieden Sabine und die Freunde von Chrissy, ihren Wunsch zu respektieren und sie ohne weitere Verlängerung durch Gerätemedizin sondern einfach als Chrissy gehen zu lassen.
Heute nun wird sie beerdigt – Chrissy ein einzelner, unvollkommener und gleichzeitig großartiger Teil dieses Wunders des Lebens.
Der Berliner Straßenchor wird nun den Nena-Titel „Wunder geschehen“ singen, bevor wir die Urne zum Grab begleiten.
Katharina Wönne von Tauwerk
02.06.1957 - 01.06.2015
22.02.1962 - 06.05.2015
07.11.1966 - 08.09.2014
14.12.1956 - 05.07.2014
21.06.1960 - 20.05.2014
26.07.1958 - 30.03.2014
10.10.1976 - 20.03.2014
12.04.1961 - 14.01.2014
Er ist nicht mehr da wo er war – sondern überall wo wir sind. Im Andenken an Arv von Angelika Haller
27.06.1960 - 31.12.2013
16.01.1946 - 18.12.2013
04.11.1962 - 11.05.2013
Ansprache in der Trauerfeier
Pastor Detlev Gause
Verlass dich auf den HERRN von ganzem Herzen
und verlass dich nicht auf deinen Verstand;
sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen,
so wird er dich recht führen.
Diesen Vers aus den Sprüchen Salomos (3,5und 6)
hat Lothar in einem von Ihm verfassten Statement
als ein Wort bezeichnet, nach dem er sich ausrichtete.
Im Gottesdienst „Kein Grund zur Anstellung“ ging es
um das Arbeitsleben und Lothar brachte sich ein,
sich und seine Situation als frisch verrenteter Lehrer.
Verlass dich auf den HERRN von ganzem Herzen
und verlass dich nicht auf deinen Verstand;
sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen,
so wird er dich recht führen.
Wenn es ihm gut ging, hat Lothar etwas ausgestrahlt
von dieser Glaubensgewissheit. Er war zugewandt.
Er konnte andere motivieren und für Dinge begeistern,
manch Schüler oder Schülerin sogar für Mathematik.
Lothar war uns allen ein freundlicher Zeitgenosse.
Er hat sich nicht gescheut, Aufgaben zu übernehmen, vor denen andere wohl eher zurückschreckten.
Er war präsent, er war äußerst zuverlässig.
Er war einer, den man gern um sich haben mochte.
Wenn es ihm nicht so gut ging, sah es anders aus.
Er war im Innern verzweifelt und manchmal allein;
Er wusste dann nicht, wohin er eigentlich gehörte.
Er wünschte sich alles andere als das, was war.
Nur nach außen hat Lothar davon wenig gezeigt.
Er zog sich dann lieber zurück. Er litt darunter;
aber er fand nicht den Schlüssel, dies aufzubrechen.
Sich anzuvertrauen, wirklich jemanden alles zu sagen, was ihn innerlich bewegte, das war seine Sache nicht.
In den guten Stunden baute er an seinem Umfeld,
er machte sich zu einem verlässlichen Gegenüber,
am Arbeitsplatz, unter Freunden, auch zur Familie.
Er zeigte den anderen immer wieder,
dass sie ihm wichtig und nicht gelichgültig sind.
Glückwünsche zum Geburtstag, immer mal ein Hallo;
Lothar schrieb sich ein bei Menschen, die er mochte,
ja, sogar immer auch wieder bei den anderen,
mit denen es ihm eher schwer war.
Und deshalb auch war es nahezu unmöglich,
von außen zu sehen, was ihn wirklich bewegte,
was Lothar im Inneren dachte, was ihn quälte.
In dem besagten Statement im Gottesdienst
von 2010 hat er davon etwas erkennen lassen;
er benannte die Fragen, an denen er festhing:
Wofür soll ich arbeiten? Wofür soll ich lieben?
Wofür soll ich leben? Arbeiten um zu leben?
Wohl besser: arbeiten um zu überleben!
NEIN! Das kann es nicht sein! Wirklich nicht!
Das Leben hat somit keinen Sinn mehr.
Dies alles sagte er im Rückblick auf die Zeit,
die gerade hinter ihm lag; er nahm eine Auszeit,
war in der Psychiatrie gewesen und fing neu an,
sein Leben wieder in die Hand zu nehmen.
Einer seiner Therapeuten sprach davon,
dass Lothar mit seiner bisherigen Art zu leben,
so etwas wie einen Selbstmord auf Raten beging.
Jetzt wollte er einen Neuanfang machen.
Lange aufgeschobene Klärungen ging er an;
in der Familie, in der Ausrichtung dessen,
was für ihn selbst wirklich gut ist, ihn trägt
und nicht immer mehr unter Druck setzt.
Die größte Falle seines Lebens,
sich Anerkennung zu verschaffen,
in dem er es anderen recht machte,
für sie da war, egal wie es ihm selber ging,
immer mehr zu einem Gebenden zu werden,
ohne darauf zu achten, was er selbst bekam;
da wollte er einen Riegel vorschieben.
Das sollte zukünftig anders werden.
In diesen Strudel wollte er nicht wieder geraten.
Beispielhaft war ihm dafür die Betriebsratsarbeit.
Wer hatte ihn da alles in Anspruch genommen
und Lothar hatte geholfen und Rat gewusst.
Diese Aufgabe wollte er nicht mehr übernehmen.
Und bei all dem leitete ihn ein Glauben,
den er nicht demonstrativ vor sich her trug,
der ihm aber im Inneren Halt zu geben versprach;
deshalb galt dieser Vers für ihn:
Verlass dich auf den HERRN von ganzem Herzen und verlass dich nicht auf deinen Verstand;
sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen,
so wird er dich recht führen.
Dass Lothar nun aus heiterem Himmel gestorben ist,
ist doppelt nicht zu begreifen.
Hatte er selbst doch ziemlich klar erkannt,
was für ihn gut und richtig war und was falsch.
Hatte er nicht großes Glück mit der neuen Schule,
an der er jetzt tätig war!
(Auch wenn das viele Fahren Kraft kostete!)
Hatte er nicht im Griff, was seine Vorhaben waren!
Er war voller Pläne. Schritt für Schritt bewegte er,
wo Klärung, Umorganisation, Neugestaltung anstand.
Mag sein, dass er die körperlichen Signale nicht sah;
er war mehrfach krankgeschrieben.
Aber er wollte jetzt leben, sich aufbauen,
wo er zu Hause sein konnte.
Dazu gehörte auch sein Engagement als Janitor, Freund und Schatzmeister des Fördervereins
Rogate-Kloster St. Michael zu Berlin.
Und wir müssen uns auch die Frage stellen:
Hat Gott denn seine Zusage nicht eingelöst?
Wenn er doch der ist, der uns recht führt,
wie konnte Lothar jetzt sterben, wo nicht alles gelöst,
aber doch vieles zum Guten stand?
Wir hätten ihn gern noch bei uns gehabt.
Die Schule hat große Stücke auf ihn gehalten.
Die Gemeinschaft, die er sich gesucht hat, war seine.
Sein langjähriger Freund Martin ist ratlos und traurig.
Seine Schwester mit den Kindern hat ihn gebraucht.
Eltern können nicht verschmerzen,
wenn ein Kind vor ihnen geht.
Das alles ist für uns unbegreiflich.
Und wir empfinden als ungerecht, dass Lothar tot ist.
Vor allem ihm hätten wir gewünscht, dass er
ein wirklich glückliches Leben hätte haben können.
Was ist passiert, dass dieses Leben abgebrochen ist?
Wahrscheinlich gibt es keine schlüssige Antwort.
Selbst wenn wir Detail um Detail aneinandersetzen,
wenn wir die eine oder andere Erklärung suchen,
im Letzten fehlt uns das große Verständnis.
Verlass dich auf den HERRN von ganzem Herzen
und verlass dich nicht auf deinen Verstand;
sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen,
so wird er dich recht führen.
Dieser Vers, den wir am liebsten in Frage stellen,
wenn wir auf das blicken, was Lothar geschehen ist,
dieser Vers will auch uns binden, und Trost geben:
Nicht der Verstand ist die letzte Größe, zu verstehen; es ist dem Herzen überlassen, Führung zu erhalten.
Gott mehr zu überlassen, als wir selbst vermögen,
darin liegt hier das Geheimnis des Glaubens,
dem uns unendlich schwer fallen mag, zuzustimmen,
gerade weil uns Lothar so lieb und wichtig war.
Nicht auf unseren Verstand allein bauen,
sondern in allen Wegen Gott gedenken,
das heißt, sich seiner Führung wirklich zu überlassen
und nicht doch selbst Hand anlegen zu wollen,
zu korrigieren, was Gott mit uns vor hat,
das ist mit das Schwerste, was uns aufgetragen ist,
wenn wir es ernst nehmen mit unserem Glauben.
Vielleicht hat Lothar diesen Vers Salomos gebraucht,
um sich selbst immer wieder daran zu erinnern,
vielleicht ist es ihm im Letzten nicht gelungen,
diesem hohen Glaubensanspruch gerecht zu werden,
wirklich Gott zu vertrauen, und nicht selbst zu regeln.
Aber wer von uns kann das schon?
Es stand noch vieles aus im Leben unseres Toten.
Er wollte und sollte Begleiter sein –
seiner Schwester und den Ihren;
in der Gemeinschaft der Kirche posithiv
und was daran hängt an Miteinander & Füreinander;
für seine Aufgabe als Lehrer zunächst in Hamburg,
in weiterer Zukunft mit einem Arbeitsplatz in Berlin;
einem Mann, der noch nicht gefunden war,
Lebenspartner sein. Lothar hatte noch Träume.
Und manches, was auf der Strecke geblieben war,
hätte er sicher noch in Angriff genommen,
wäre ihm die Lebenszeit dafür geblieben.
Wir können nur beklagen, dass ihm die Zeit nicht blieb,
dass sein Leben nicht mehr ausgereicht hat,
alle Vorhaben und Wünsche anzugehen, zu erfüllen.
Und auch wir bleiben auf diesen Vers verhaftet:
Verlass dich auf den HERRN von ganzem Herzen
und verlass dich nicht auf deinen Verstand;
sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen,
so wird er dich recht führen.
Dieses Wort bleibt uns fast im Halse stecken.
Wie soll das gehen? Wie kann das gehen?
Wir fühlen uns schwach und unvollkommen.
Beinahe unmöglich scheint uns, so zu denken,
so zu glauben, so zu handeln.
Und doch bleibt dies die Wahrheit für uns
und ganz besonders für Lothar, der gegangen ist.
Sein Statement hat Lothar am Reformationstag
in unserer Kirche in Hamburg-St. Georg gehalten.
Noch nicht einmal drei Jahre ist dies her.
Der katholische Mönch Martin Luther
bringt theologische Erkenntnisse hervor,
die zum Protestantismus führen.
Er kam zu dem Schluss, dass jeder Mensch
die Folgen unwiederbringlich misslungener Verantwortung aus der Hand geben kann,
dass Gott ihm dennoch Zukunft schenken will.
Luther machte dies fest am Kreuzestod Jesu,
an dem Ort, an dem sich Gott gebunden hat.
Solch Gedanke kann mich zornig machen,
wenn er so sicher wissend daher kommt;
er kann mich aber auch neidvoll werden lassen,
wenn ich spüre, welche Überzeugtheit darin steckt;
und wenn es gut geht, werde ich dankbar,
weil dieser Gedanke mir hilft und mich tröstet.
Mit den Worten des Paulus gesprochen (Röm. 3,2):
So halten wir nun dafür, dass der Mensch
gerecht wird ohne des Gesetzes Werke,
allein durch den Glauben.
Das ist es, was uns allen zugesprochen ist,
besonders jetzt aber auch diesem Verstorbenen
Lothar Todt, unserem Bruder und Freund. Amen.
23.08.1960 - 03.01.2013
01.09.1978 - 15.10.2012
01.04.1973 - 12.05.2012
08.12.1971 - 12.03.2012
31.03.1943 - 26.01.2012
12.07.1952 - 26.06.2011
01.03.1958 - 27.02.2011
30.05.1964 - 20.02.2011
2010 – 2003
26.06.1954 - 26.12.2010
02.07.1957 - 30.07.2010
De mortius nisi nihil bene – über die Toten spricht man nur gut.
Liebe Freunde, liebe Trauernde,
Immer wieder stoßen wir an Grenzen.
Plötzlich werden wir herausgerissen aus den Routinen unseres Lebens und verharren – mit angehaltenem Atem!
Heute gedenken wir hier
TOM HALLER,
mit 53 Jahre an schweren Krankheiten verstorben am 30. Juli 2010.
Mein Name ist Norbert, ich kannte Tom über 20 Jahre und wurde gebeten diese Trauerrede zu halten. Ich hoffe ich kann dem gerecht werden.
Denn immer wieder stoßen wir an unsere Grenzen:
Im Verständnis für andere Sichtweisen und Lebensziele.
Wir beklagen eine kalte Welt, Isolation, Druck.
Wir sagen dann: die Gesellschaft verroht, macht uns blind und taub.
Wir, jeder von uns ist diese Gesellschaft – wie wir wirken im Kleinen, nur so gut ist unsere Gesellschaft.
An dieser Stelle Allen ein herzliches Danke für all die Nähe und Freundschaft zu Tom.
Ich weiß genau, dass er Euch alle so geschätzt hat, obwohl oder weil Ihr genau so seid und dass er Euch das auch wissen lassen möchte.
Und trotzdem: Wir alle hatten unsere Probleme mit Tom, ob nah oder fern. Und das war unser Schmerz: trotz sehenden Auges nicht verstehen zu können, trotz Tatendrang nicht helfen zu können.
Verständnis zu finden heutzutage ist schwer!
So liebenswert, so getrieben, so witzig, so dominant, so versöhnlich, so polarisierend – all das und viel mehr war Tom.
Viele sagen, er sei schwierig gewesen – aber genau betrachtet war er nur ein Gegner der Mittelmäßigkeit und Dummheit. Und ganz sicher hat er bei diesem Anspruch – auch an sich selbst – chaotische Züge angenommen. Was haben wir alle den Kopf geschüttelt und wussten nicht ob wir weinen oder lachen sollten.
Immer wieder stoßen wir an unsere Grenzen:
Viele Fragen, viele Antworten – keiner hat Toms ganze Geschichte, jeder nur Bruchstücke.
Wer freut sich über mich? Wer denkt an mich?
Wahrscheinlich haben Tom die Antworten nicht immer ausgereicht, haben ihn gar wütend gemacht.
Aber vielleicht haben wir nicht genug Fragen gestellt, auf die Tom so viele Antworten wusste.
Dieser Mann hatte Herz und Verstand. Aber dieses Herz war nicht eingehüllt in eine dicke, stoßsichere Verpackung – und das hat ihn so verletzlich gemacht. Tom trug sein Herz auf der Zunge und seine empfindsame Seele nach Außen.
Denn neben seiner Größe hatte Tom auch seine dunkle Seite – seine Blockaden und Schatten.
In diesem Spannungsfeld bewegte sich Tom oft am Rande des Abgrunds – was er tat, tat er konsequent und exzessiv, geschont hat er sich dabei nicht, bis zum Ende voll mit Ideen und Projekten.
Ich glaube, jeder von uns hat Tom für etwas bewundert – und ich weiß genau, dass umgekehrt, Tom jeden einzelne von uns für etwas bewundert, geliebt, ja sogar beneidet hat. Sucht das in Euch, bewahrt dies.
Immer wieder stoßen wir an unsere Grenzen:
In der Liebe!
In unserer Suche nach Zuneigung, Anerkennung und Liebe.
Tom wurde geliebt, jetzt noch mehr als je zuvor – erst hinterher wissen wir alles besser, sehen wir alles klarer – das ist der Lauf der Dinge und unsere menschliche Natur.
Tom hatte eine Gabe Freundschaft zu geben:
Freude, Witz, Unternehmungen, Rat und Tat.
Ich glaube, Tom hat so intensiv geliebt – sein Leben, die Menschen, uns Alle, dass er sogar sein Leben uns als Beweis schenkte, viele von uns – dem Tode nah – auch noch zusammenholte und schweigend sich versöhnte.
Bei Tom verband sich Not und Schmerz mit einem fordernden Blick und scharfen Worten,
verband sich Untergang mit Liebe und Realismus.
Er hat sich aufgemacht, ganz und gar.
Tom hat uns nicht verlassen, er ist nur ein Stück voraus gegangen.
So intensiv gelebt und geliebt.
Verstehen wir seine Liebe?
Wer erklärt Liebe?
Erklär mir Liebe (Ingeborg Bachmann)
Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind,
dein unbedeckter Kopf hat’s Wolken angetan,
dein Herz hat anderswo zu tun,
dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,
das Zittergras im Land nimmt überhand,
Sternblumen bläst der Sommer an und aus,
von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen –
Erklär mir, Liebe!
Der Pfau, in feierlichem Staunen, schlägt sein Rad,
die Taube stellt den Federkragen hoch,
vom Gurren überfüllt, dehnt sich die Luft,
der Enterich schreit, von wilden Honig nimmt
das ganze Land, auch im gesetzten Park
hat jedes Beet ein goldener Staub umsäumt.
Der Fisch errötet, überholt den Schwarm
und stürzt durch Grotten ins Korallenbett.
Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion.
Der Käfer riecht die Herrlichste von weit;
hätt ich nur seinen Sinn, ich fühlte auch,
dass Flügel unter Ihrem Panzer schimmern,
und nähm den Weg zum fernen Erdbeerstrauch!
Erklär mir, Liebe!
Wasser weiß zu reden,
die Welle nimmt die Welle an der Hand,
im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.
So arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!
Ein Stein weiß einen andern zu erweichen!
Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:
sollt ich die kurze schauerliche Zeit
nur mit Gedanken Umgang haben und allein
nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?
Muss einer denken? Wird er nicht vermisst?
Du sagst: Es zählt ein andrer Geist auf ihn . . .
Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander
durch jedes Feuer gehen.
Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.
Tom hat seine Grenze gefunden,
mehr wollte er nicht erleben, mehr konnte er nicht tragen.
Wir müssen weiterleben – jeder von uns etwas bewusster mit Güte, Nachsicht und Liebe – und mit dem Anspruch an uns selbst, den Tom immer eingefordert hat.
So geeint hätten wir Tom bestimmt gefallen!
GEBET (aus „Tanz der Vampire“, 1. Akt)
Wenn Musik das Herz verwirrt
Und die Sehnsucht tanzen geht,
Wenn die Seele sich verirrt,
Dann hilft nur noch ein Gebet.
Gott bewahre uns vor dem Grau’n,
Das mit Schrecken uns erfüllt,
Lass uns nicht in Tiefen schau’n,
Deren Abgrund uns berührt.
Gott befrei‘ uns von dem Drang
Das Verbotene zu tun,
Lass den Hang zum Untergang
tief auf dem Grund der Seele ruh’n.
Gott vergib uns unsere Gier
Nach dem Bösen und der Nacht,
Lass uns nicht den Kopf verlier’n,
Wenn das Tier in uns erwacht.
Tom war nie ein Lügner, er wollte beeinflussen. Tom war kein Schönredner, er war Freund. Tom hat sich im Leben nicht geschont, er hat voll ausgekostet und sein Ende einkalkuliert.
So streitbar Tom im Leben war, so dramatisch die letzten Tage – so friedvoll war er aber im Tode. Ich war überwältigt und gerührt von seinem friedlichen Antlitz auf dem Sterbebett.
Er fehlt uns schon jetzt, Gott ich vermisse ihn schon jetzt so sehr.
Lebe wohl, mein lieber Tom, und ich sage bewusst „lebe“, denn du wirst in uns weiterleben.
Adieu, Tom, du hast unser Herz geöffnet und unseren Verstand geschärft.
Adieu, du Herzensschöner.
22.05.1958 - im Mai 2010
09.08.1964 - 16.04.2010
08.10.1976 - 01.04.2010
Grabrede Dirk Stubning
Liebe Angehörige, liebe Freunde!
Wir haben uns heute versammelt, um gemeinsam von
DIRK STUBNING
Abschied zu nehmen, der sich bereits auf seiner letzten großen Reise befindet.
Es gäbe viel zu sagen über Dirk, doch Dirk war selbst nicht der Mensch für große Worte, deswegen werde ich mich auch – hoffentlich in seinem Sinne – kurz halten.
Dirk Stubning war ein besonderer Mensch, der mit viel Geduld und Gleichmut schwierige Phasen durchlebt hat. Er war sehr hilfsbreit und hat die Belange anderer oft vor seine eigenen gestellt. Er war zur Stelle, wenn man ihn brauchte.
Dirk liebte das Leben und hatte viele Pläne. So wollte er z.B. im Ausland arbeiten und dort ein neues oder anderes Leben beginnen. Wenn er etwas wollte, hat er viel Zeit und Energie investiert, um seine Vorhaben zu realisieren.
Dirk hatte es auf der anderen Seite nicht immer leicht und seine Vergangenheit hat ihn auch immer wieder eingeholt.
Ich kannte Dirk seit über 5 Jahren und durfte ihn erst in den letzten Monaten noch sehr viel besser kennenlernen.
Dirk war seit vielen Jahren hiv-positiv und dadurch schwer krank. Es ist ihm sehr schwer gefallen, dies zu akzeptieren und oft hat er das Wissen um seine Erkrankung verdrängt. Er hatte große Sehnsucht nach einem ganz normalen Leben. Dirk hat kaum geklagt, auch wenn es ihm schlecht ging, er hat vielmehr die Ablenkung gesucht als im Klagen aufzugehen.
Leider hatte sich sein Gesundheitszustand in den letzten Monaten immer weiter verschlechtert, er lag lange im Krankenhaus, wo er auch entschlafen ist.
In Ehrendem Gedenken, lieber Dirk, diese Worte für Dich:
Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt dennoch, wenn es langsam dunkel wird!
Lieber Dirk, ich will weiter gar nicht mehr viel sagen, als:
Du wirst unvergessen bleiben und gute Reise ins Land des Morgensterns!
Wir möchten nun noch ein Stück von den Skorpions spielen, einer der Lieblingsbands von Dirk.
Das Stück heißt passenderweise:
Send me an Angel
12.01.1955 - 11.04.2010
01.05.1960 - 11.02.2010
8.06.1968 - 30.08.2009
29.04.1933 - 23.08.2009
20.10.1963 - 22.07.2009
Manfred Bruckuf wurde am 20. Oktober 1963 in Worms geboren und wuchs mit seinen beiden älteren Schwestern in einem kleinen Ort in Rheinhessen auf.
Schon als kleiner Junge hatte er Freude daran, die Blumen wachsen und gedeihen zu sehen. Seine besondere Liebe galt den Rosen. Diese Liebe blieb Zeit seines Lebens erhalten. So wurde bei der Trauerfeier zu seiner Beisetzung in der Erinnerung an Manfreds Liebe zu Blumen – besonders zu Rosen der Titel von Hildegard Knef „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ gespielt.
Manfred hatte einen Sinn für alles Schöne. Als guter Schüler entdeckte er früh die Literatur für sich. Besonders Asterix und die Helden von Karl May hatten es ihm angetan.
Manfred liebte das Besondere. Wie sang die von ihm verehrte Knef:
„Ich kann mich nicht begnügen, will alles – oder nichts“
Er wollte alles; trug gern schicke Kleidung – gut sitzende Anzüge aus feinem Stoff.
Manfred war ein leidenschaftlicher, ein Genuss-Mensch. Er liebte gutes Essen, das er selbst mit viel Liebe und großem Geschick zubereitete, er liebte Musik und das Tanzen.
Aber seine erste berufliche Karriere als Bankkaufmann in einer ländlichen Region ließ wenig Andersartigkeit zu.
Deshalb überraschte es nicht, dass Manfred nach seinem „Coming out“ mit 30 Jahren in Mannheim eine Kneipe übernahm.
Ein plötzliches Ende nahm diese schöne Etappe seines Lebens 1998 durch einen gesundheitlichen Zusammenbruch, im Rahmen dessen Manfred seiner Familie gestand, schon seit 10 Jahren mit dem Wissen zu leben, HIV-positiv zu sein. Durch eine gute ärztliche Betreuung und die Einnahme von Medikamenten, die er bis dahin abgelehnt hatte, konnte Manfred sich körperlich und psychisch so weit stabilisieren, dass er nach Berlin umziehen konnte.
Dank der Unterstützung durch die ZiK-Mitarbeiter (ZiK – Zuhause im Kiez – Ein gemeinnütziges Wohnprojekt) konnte Manfred einige sehr schöne Jahre verleben. Er kochte wieder für sich und andere, hatte viel Freude am Großstadtleben.
Nach einem erneuten Zusammenbruch im Sommer des Jahres 2006 konnte er sich nicht wieder erholen. Im „House of life“ fand er in dieser Situation ein neues Zuhause und gute Versorgung. Er war gelähmt, auf pflegerische Hilfe angewiesen, das Sprechen fiel ihm schwer. Für Manfred war das ein inakzeptabler Zustand. So wollte er keinesfalls von seinen Freunden gesehen werden. Deshalb brach er sämtliche Kontakte zu seinem Freundeskreis ab. Verlässlich erhalten blieb trotz der großen Entfernung der Kontakt zu seiner Familie. Seine Eltern und Schwestern und ihre Familien nahmen ganz regelmäßig die Strapazen der langen Reise auf sich, um ihn zu besuchen. Diese Besuche und die Telefonate mit der Familie haben Manfred sehr viel bedeutet.
Die fast immer liegende Position, die Schluckbeschwerden führten mehrfach zu Lungenentzündungen.
An einer solchen Lungenentzündung starb Manfred am 22. Juli im Auguste-Viktoria-Krankenhaus nach einer langen Zeit der Krankheit.
Manfred hat einmal gesagt: „Der da oben hat mich vergessen.“
Er hat es ihm nicht leicht gemacht auf seinem Weg. Manfred musste viele Täler durchwandern, um dann und wann die Höhen des Lebens genießen zu können. Aber in aller Beschwerlichkeit gab Gott ihm immer Menschen an die Seite, die ihn begleitet haben und die das sehr gerne für ihn taten.
Er war zwar ein kleiner Mann, aber ein großer Mensch!
31.08.1957 - 21.05.2009
10.01.1959 - 10.09.2008
Trauerrede für Gerd Brinker am 10.10.2008
Liebe Trauergemeinde,
mein Name ist Katharina Wönne. Ich bin Mitarbeiterin im Hospizdienst TAUWERK und habe in dieser Funktion vor 3 ½ Jahren Gerhard Brinker kennen gelernt. Wir haben eben einen Titel aus dem Film Imitation of life gehört, einem der Lieblingsfilme von Gerd. Im letzten Satz singt Mahalia Jackson :
„I am going home to live with God.“
(Ich gehe nach Hause, um mit Gott zu leben.)
Am 10 September ist Gerhard Brinker im Auguste-Viktoria-Klinikum gestorben. Er ist nach Hause gegangen – zu seinem Ausgangspunkt zurückgekehrt. Maria und Dirk, die die Musik für diese Trauerfeier ausgewählt haben, hätten kaum eine passendere Wahl treffen können: Im vorletzten Satz des Liedes heißt es ein bisschen flapsig:
„How soon we will be done with the trouble of the world“
(Wie bald werden wir fertig sein mit dem Stress/der Ärger der Welt).
Genau das kenne ich von Gerd sehr gut: eine sehr feinsinnige Emotionalität, ein tiefgründiges Nachdenken über die Zusammenhänge unseres Lebens und das gleichzeitige Bestreben, alles Schwere durch Humor leichter tragbar zu machen. Gerd hat von den Tiefschlägen des Lebens mit einem Augenzwinkern erzählt, hat Emotionen immer nur für eine gewisse Zeit zugelassen, um sie dann gleich wieder zu relativieren. Wenn seine Art von Humor für mich auch manchmal schwere Kost war, ich werde deine Fähigkeit zur Selbstironie immer in bewundernder Erinnerung behalten. Sie alle sind unterschiedlich lange Abschnitte seines Lebens mit Gerd gemeinsam gegangen.
Und Sie sind heute mit den Ihnen ganz eigenen Erinnerungen an ihn hier, um sich von ihm zu verabschieden. Ich möchte Sie jetzt einladen, an Gerds Urne zu treten und mit dem Entzünden Ihres Teelichtes symbolisch Ihre Erinnerung aufleuchten zu lassen.
Zur Person
Jedes der Lichter, die hier brennen, ist Zeichen einer ganz besonderen Verbindung zu Gerd, die nicht dadurch unterbrochen wurde, dass Gerd nicht mehr lebet. Unsere Erinnerungen, unsere Verbindungen zu ihm werden auch dann noch bestehen, wenn diese Kerzen schon lange erloschen sind. Einige von Ihnen haben Erinnerungen an die früheste Kindheit von Gerd.
Er wurde am 10.01.1959 als 4. Kind der Familie Brinker geboren.
Er war der erste Sohn in der Folge von insgesamt 7 Kindern. Das hiess für ihn, dass ihm von klein auf – der Tradition entsprechend – das Recht und auch die Verantwortung des Hoferben zugeschrieben wurde. Seiner Entwicklung wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt, denn schliesslich sollte er ja all das, was die gesamte Familie durch harte Arbeit und viel Disziplin geschaffen hatte, einmal übernehmen. Die ländliche Idylle, die wir Städter heute bei unseren Bauernhofurlauben so geniessen, ist wahrscheinlich auch heute noch nur eine Momentaufnahme, die wir bewusst erleben können, weil wir unseren eigenen Alltag unterbrochen haben. Für die Bauern selbst ist ihr Alltag eben harte Arbeit. Um wie viel härter war das bäuerliche Leben in Gerds Kindheit? Alle mussten mit anpacken, um die Flut der Aufgaben zu bewältigen. In einer solchen Situation sind die Normen und Verhaltensregeln natürlich sehr leistungsorientiert. Was zählt ist die Leistung jedes Einzelnen, um die Existenz zu sichern. Autoritäten dürfen nicht in Frage gestellt werden, für Individualität und Andersartigkeit ist kaum Platz. Das ist, als sei man auf einer langen, sehr schmalen Brücke unterwegs, deren Fahrspuren schon sehr ausgefahren sind. Ist man zu langsam, wird man von hinten angestossen, ist man zu schnell, bedrängt man den Vorausfahrenden, will man die ausgefahrene Spur verlassen, braucht es dazu einen enormen Kraftaufwand und gerät man zu weit neben die Spur, dann stösst man mit dem Gegenverkehr zusammen oder stürzt in die Tiefe des Abgrundes.
Ich glaube, Gerd hat sich als Kind oft geweigert sich dem Tempo der anderen anzupassen, hat sein eigenes Tempo und seine eigene Fahrspur gesucht. Vermutlich ist er manchmal auf das Brückengeländer geklettert, hat die anderen an sich vorbeiziehen lassen und hat auf die unbekannten Tiefen geschaut, die mit all ihren Geheimnissen unterhalb der Brücke existierten. Gewiss hat er nicht gerade Anerkennung geerntet, wenn er anschliessend versuchte, sich wieder einzuordnen. Gerd konnte sich mit der ihm zugedachten Rolle nicht identifizieren. Seine einzige Freude an der Landwirtschaft bestand darin, in seiner eigenen Buchführung die Milchmenge, die jede einzelne Kuh gab, zu erfassen. Da Gerds Eltern wohl auch erkannten, dass seine Begeisterung für Tabellen und Ordnungssysteme ihn nicht unbedingt zu einem guten Bauern qualifizierte, liessen sie ihn die Handelsschule besuchen. Er wurde Industrie- und Aussenhandelskaufmann, was ihn gleichzeitig aus der Rolle des Hoferben entliess. Es wurde akzeptiert, dass er die ausgefahrene Spur verliess. Aber der Weg neben der Spur ist beschwerlich und deshalb hat Gerd sich mit Anfang 20 entschlossen, die enge Brücke ganz zu verlassen. Er ist voller Angst, aber auch mit einem Gefühl von Befreiung und Abenteuer über das Geländer gesprungen.
Gerd hat in Bielefeld ein ganz neues Leben begonnen, hat sich ausprobiert in jeder Hinsicht, hier hatte er sein Coming-Out, hat neue Wohn- und Lebensformen entdeckt, hat das Abitur nachgeholt, war politisch aktiv. Er ist ganz und gar eingetaucht in jene unbekannte Dimension, auf die er so oft vom Geländer aus geschaut hatte. Es war eine Zeit grosser Lebensintensität. Es war wohl seiner Jugend geschuldet, dass er in diesem Zusammenhang auch rücksichtslos mit seiner eigenen Gesundheit umging. Er selbst erzählte mir davon mit der gewissen Portion von Ironie und Selbstkritik, die ich bei ihm so zu schätzen gelernt habe. Von einer ähnlich exzessiven Art zu leben die bis zur Schädigung der eigenen Gesundheit reicht, erzählt der Johnny-Cash-Titel „Hurt“:
„I would keep myself, I would find a way“ –
sich selbst treu bleiben, den eigenen Weg zu finden, dieser Wunsch hatte in Gerds Leben eine ganz zentrale Bedeutung. Johnny Cash hat ihm wohl aus dem Herzen gesungen. Gerd konnte über die Musik sehr viel ausdrücken. Oftmals, wenn wir uns über ein bestimmtes Thema unterhielten, fragte er mich, ob ich diesen oder jenen Titel kenne. In der Regel kannte ich ihn nicht, aber das war ja kein Problem, denn Gerd hatte für seine gigantische LP- und CD-Sammlung ein eindrucksvolles Ordnungssystem, das es ihm ermöglichte, in kürzester Zeit den besagten Titel zu finden und mir vorzuspielen. Und oftmals konnte ich im Hören der Musik einen Sachverhalt besser erfassen als durch tausend Erklärungen. Diese besondere Begabung, Musik in solcher Weise einzusetzen, kam ihm in seiner Tätigkeit als DJ ganz gewiss sehr zugute.
In den Gesprächen mit Gerd erfuhr ich auch von einer wunderbaren Erfahrung, die er noch in Bielfelder Zeit machen konnte. Er entdeckte nämlich nach seinem Sprung ins Ungewisse, dass Beziehungen zu Menschen nicht nur einengen und fesseln können, sondern, dass die zarten zwischenmenschlichen Bande auch wie eine Art Bungee-Seil sein können, das dehnbar ist, bei Belastung nicht reisst und den Fall abbremst, bevor er in der Tiefe aufschlägt. Dass der diese Entdeckung machen surfte, hat Gerd als ein grosses Geschenk erlebt. Es war für ihn überaus tröstlich, dass ein Teil seiner Beziehungen – der familiären, der freundschaftlichen und auch der partnerschaftlichen – genau diese Eigenschaften hatten. Vielleicht sind auch deshalb aus einigen Partnerschaften Freundschaften geworden, weil Freundschaftsbande dehnbarer sind. Wenn ein einzelner Strang des Seils, von dem ein Bungee-Springer gehalten wird, nicht so elastisch ist wie die anderen, dann reisst er. Auch diese Erfahrung musste Gerd machen, aber insgesamt konnte er sich immer auf sein Halteseil verlassen, ganz besonders in den letzten Jahren, in denen er durch seine Erkrankung immer stärkere Einschränkungen seiner Lebensqualität hinnehmen musste. Gerd war dankbar für dieses Getragen-Sein. Ein Teil seiner Freundschaften aus Bielefeld blieben bis heute bestehen, obwohl er 1989 nach Berlin umzog. Der Kontakt zu seiner Familie Gerd bis zu seinem Tod sehr wichtig. Allerdings kam es mir so vor, als ob er immer wieder darüber staunte, dass das Seil, an dem er hing, nicht zerriss und dass er gleichzeitig immer in der Erwartung lebte, dass es doch noch passieren würde. Er war sich sehr bewusst, dass Beziehungen gepflegt werden müssen und hatte immer Sorge, dass seine Pflege nicht ausreichen könnte.
Gerd, die Gespräche, die ich in Vorbereitung meiner Rede mit einem Teil Deiner Vertrauten geführt habe und der Blick auf die hier Versammelten zeigen mir deutlich, dass Deine Sorge unbegründet war. Ich kann Dir versichern (und ich persönlich habe die Überzeugung, dass es einen Ort gibt, an dem Du mich jetzt hören kannst) ich kann Dir versichern, dass Du ein starkes Seil von haltbaren Beziehungen geknüpft hast, das auch jetzt noch hält, wo Du für uns alle nicht mehr sichtbar bist.
Abschied
Gerd, ich habe viel von Dir gelernt, besonders über historische Zusammenhänge hast Du mich oft belehrt (im guten Sinne des Wortes). Ich habe auch oft mit Dir gestritten, aber über ein Thema konnten und wollten wir nicht streiten: über unsere Spiritualität. Wir haben beide akzeptiert, dass wir eben verschiedene Glaubenseinstellungen hatten. Beweise für die Richtigkeit hatten wir beide nicht. Deshalb erscheint es mir auch sehr richtig, dass der letzte Song, den wir hören, überschrieben ist mit dem Titel: Destination anywhere (Bestimmungsort irgendwo). Wohin auch immer Dein Weg Dich jetzt geführt hat, Du wirst in meiner Erinnerung bleiben. Danke, dass ich Dich kennen lernen durfte.
30.04.1951 - 10.01.2008
10.07.1972 - 16.03.2007
26.04.1969 - 29.06.2006
14.11.1966 - 08.06.2006
Seit Januar wusste Michael, dass er die Leukämie, die von seinem Körper Besitz zu ergreifen begann, nicht besiegen konnte. Aber sein Geist ist frei geblieben und er ist leicht gegangen. Ich jedoch klage mit den Worten von Bertolt Brecht:
Ich hab dich nie je so geliebt mon cœr
Als wie ich fortging von dir in jenem Abendrot.
Der Wald schluckte mich, der blaue Wald, mon cœr
Über dem immer schon die bleichen Gestirne im Westen standen.
Ich lachte ein klein wenig, gar nicht, mon cœr
Der ich spielend dunklem Schicksal entgegenging –
Während schon die Gesichter hinter mir
Langsam im Abend des blauen Waldes verblassten.
Alles war schön an diesem einzigen Abend, mon cœr
Nachher nie wieder und nie zuvor –
Freilich: mir blieben nur mehr die großen Vögel
Die Abends im Himmel Hunger haben.
Viel zu kurz, viel zu schnell –
Elf Jahre wie ein einziger Abend nur…
Zutiefst traurig,
Unendlich einsam jetzt.
Frank Twardzik
frank.twardzik@t-online.de
28.08.1959 - 30.04.2006
Nach schwerer Krankheit verstarb am 30.04.2006 mein geliebter Freund, Partner und Lebensgefährte Eckhard Schlorf. Die Wunde in meinem Herzen wird niemals heilen. Ich habe dich immer geliebt und ich werde dich immer lieben. Niemand kann dich jemals ersetzen. Die große Liebe ist nicht ersetzbar und du bleibst für ewig in meinem Herzen und in meinen Gedanken.
In Liebe
Dein Horst
18.02.1966 - 20.03.2006
22.04.1962 - 15.12.2005
12.09.1972 - 13.11.2004
29.06.1930 - 25.10.2004
21.03.1956 - 29.09.2004
Niemals geht man so ganz…
Natascha war anders als die Anderen. Und er hat es gezeigt. Er ging im Fummel ins Konzert und wollte im Kleid aufgebahrt werden.
Er war ein stolzer Schwuler!! Er hatte so viele Seiten. Er konnte so zärtlich sein und lieben, er hatte ein großes Herz, wenn er jemanden mochte, dann öffnete er sich und schüttete seine Liebe aus, manchmal verschämt, manchmal ganz offen und stolz. Natascha hatte Eigensinn, was er sich in den Kopf gesetzt hatte, das zog er durch. Zuletzt die vier Wochen in Albstedt: obwohl es fast über seine Kräfte ging, machte er jede Woche seinen Kaffeeklatsch. Daran hing sein Herz. Das kam von ihm, das war etwas authentisches von Natascha, wovon er hoffte, dass die Menschen sich daran erinnern würden. Und die Leute kamen, tranken Kaffee und aßen den Kuchen, den er mit viel Liebe und Mühe gebacken hatte und alle waren fröhlich und schnatterten, wie man es eben tat bei einem Nataschakaffeeklatsch. Und inmitten der Runde saß Natascha im Fummel und strahlte eine innere Freude aus und eine Genugtuung. Es war sein Nachmittag und die Sonne strahlte mit uns allen. Blaubeerkuchen gab es. Albrecht hatte die Beeren gepflückt. Das war wichtig. Nataschazeit! Ja, Natascha hatte Eigensinn und aus seinem Eigensinn entstand viel Gutes, viel Engagement. Sein ganzes Tun kam aus diesem Bereich, seine ehrenamtlichen Tätigkeiten und seine kreativen Schaffensaugenblicke. Natürlich lag da auch seine Zickigkeit. Denn Natascha konnte auch zickig sein, manchmal richtig böse, wenn sich jemand ihm in den Weg stellte und ihn daran behindern sollte, das zu tun, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Natascha war von einer rührenden Fürsorglichkeit. Wen er liebte, der sollte nicht leiden. Er tat alles, um solch ein Leiden zu mildern. Er kümmerte sich!!! Er sorgte sich!!! Wenn jemand krank war, den überschüttete er mit seinen Aufmerksamkeiten. Natascha liebte die Leidenden, nicht im erotischen Sinn, sondern im umfassenden Sinn. Er tat, was in seiner Macht stand, um zu helfen. Natascha war ein Helfender!!! Besonders hatten es ihm die angetan, die wie er selbst, HIV-infiziert oder Aidskrank waren. Das waren seine Genossen im Leiden. Die schloss er in sein Herz. Natascha liebte die Freiheit. Ja, sein Eigensinn ist letztlich aus diesem Drang nach Freiheit zu verstehen. Natascha war DER emanzipierte Schwule schlechthin. Er litt darunter, wenn manche Schwule sich ihrer Freiheit nicht bewusst waren. In diesem Bereich war Natascha auch ein sehr politischer Mensch. Es war ihm bewusst, dass die Schwulen von den Nazis verfolgt und in die Konzentrationslager gesteckt wurden. Er hasste die Diskriminierung der AIDS-Kranken. hNatascha war seit über 15 Jahren HIV-posithiv und seit einigen Jahren an AIDS erkrankt. Das hat sein Leben mehr als alles andere geprägt. Das hat seine Gefühle bestimmt und seine Gedanken. Aus dieser Krankheit heraus entdeckte er die Freiheit und wurde ein Kämpfer. Wäre er sonst so lange am Leben geblieben? Ich glaube nicht. Er hatte eine innere Kraft und ein ureigenes Gespür, um dem Gevatter Tod möglichst oft von der Schippe zu springen. Obwohl, Natascha hatte keine Angst vor dem Tod. Vor dem Sterben ja, aber nicht vor dem Tod. Er hatte viele Leidensgenossen gehen sehen. Der Kampf ist nun vorbei und das Leiden ist auch vorbei. Natascha ist tot. Wir nehmen Abschied. Es bleibt unsere Liebe und unsere Freundschaft. Denn Natascha: Niemals geht man so ganz, etwas von uns bleibt hier!!
Albert
Gedanken zu Natascha
Natascha hatte immer Verbindungen zu Küchen. In einem Tagungshaus bei Hamburg war er „Küchenchefin“ für schwule Gruppen. Im Sommercamp Albstedt kümmerte er sich täglich um das Frühstück.
Er liebte es, kreativ zu sein. Die z.T. sehr ungewöhnlichen Zusammenstellungen waren nicht jedermanns Sache. Es gehörte auch nicht zu seinen Stärken, benutzte Teile zurückzustellen oder effektiv zu putzen.
Wenn er jemand mochte, gab es essbare Sonderzuwendungen – manchmal legte er sie unter das Kopfkissen. (Welche Überraschung, wenn man die Liebesgabe am nächsten Morgen zerdrückt im Bett
fand.)
Er machte gern kleine Geschenke oder schrieb Briefe, deren Rückantwort er sorgfältig aufbewahrte.
Natascha liebte Musik – speziell die russische. Er ist kein Zufall, dass er sich selbst „Natascha, die Großfürstin aus dem russischen Reich“ nannte. Mal war er melancholisch bis depressiv dann wieder begeisterungsfähig und ausgelassen. Er liebte die Bühne. In Albstedt ließ er keine Gelegenheit aus, sich in weite Gewänder und Pelze zu hüllen und zu Ivan Rebroffs Stimme „Natascha“ und anderen Liedern die Lippen zu bewegen. Im tiefsten Inneren war er sehr schüchtern und leicht verletzlich. Es fiel ihm schwer, zwischen anderen „Diven“ seinen Platz zu behaupten. Manchmal zog er sich aus den Proben resigniert zurück und brauchte Ermutigung, nicht aufzugeben.
Neben der russischen Folklore liebte er Opern in deutscher Sprache. Seine erklärten Lieblingssänger waren neben Ivan Rebroff, der Bariton Hermann Prey und die Mezzosopranistin Brigtte Fassbaender.
In Albstedt hat Natascha oft an die an AIDS verstorbenen Männer erinnert. Ihm war es wichtig, dort nicht vergessen zu werden.
Natascha wollte nach einigen Jahren Pause noch ein letztes Mal nach Albstedt, um sich von seinen Freunden und Bekannten gezielt zu verabschieden. Er wusste, dass es das letzte Mal ist. Es war ihm anzusehen, wie sehr er die vier Wochen genoss. Mit Freunden sprach er über den bevorstehenden Tod und dass er ihm keine Angst mache. Er sprach über seine Schmerzen und ertrug sie mit Fassung.
W.R.
23.03.1963 - 2.06.2004
09.01.1968 - 30.04.2004
07.01.1966 - 24.03.2004
01.05.1957 - 11.02.2004
Ein Nachruf
von Jörg Bressau, Schwulenberatung Berlin
Lieber Thomas, heute müssen wir von Dir Abschied nehmen. Wir werden Dich vermissen. Dein Tag, Deine Erfahrung, Dein Scharfsinn und Deine Menschenfreundlichkeit werden uns sehr fehlen. Vorstand, Geschäftsführung, Betriebsrat und Mitarbeiter der Schwulenberatung trauern um Dich und beklagen Deinen allzu frühen Tod. Vielen Menschen bist Du ans Herz gewachsen. Und viele haben auch einen Freund verloren – Gekämpft gegen Deine schwere Krankheit hast Du bis zuletzt. Und kämpferisch ist Dein Leben auch von allem Anfang an gewesen. Als ich Thomas kennen lernte – das ist nun weit über 20 Jahre her -, da kämpfte er schon an vorderster Front. Nach Abitur und Zivildienst in München, sowie einem kurzen Abstecher an die Universität Osnabrück kam Thomas Anfang der achtziger Jahre nach Berlin und baute neben seinem Psychologiestudium mit anderen das Schwulenreferat an der Freien Universität auf. Es war ja die Zeit, zu der die Schwulen langsam aus der Sprachlosigkeit auftauchten, in die sie durch Naziverfolgung und Kriminalisierung gestossen worden waren. Das dauerte bis 1968, bis zur Entschärfung des § 175 StGB. Erst dann begann eine Generation von jungen Schwulen sich zu artikulieren und zu emanzipieren, ihre Interessen selbst in die Hand zu nehmen und eine Infrastruktur für die eigene Community aufzubauen.Als Thomas dazukam, gab es schon ein paar Gruppen. Aber es waren wenige. Mittel und Möglichkeiten waren bescheiden. An das, was man heute Staatsknete nennt, war noch nicht zu denken. Es gab die Homosexuelle Aktion Westberlin (HAW), die für sich in Anspruch nehmen durfte, die erste Gruppe in Berlin gewesen zu sein. Von seinen ursprünglich einmal hochpolitischen Zielen hatte sich das von ihr getragene Schwulenzentrum (SchwuZ) zu einem gut gehenden Veranstaltungsort für schrilles Off-Theater und angesagte Disconächte entwickelt. Weiter gab es den eher biederen Gegenentwurf, die Allgemeine Homosexuelle Arbeitsgemeinschaft (AHA), die damals hauptsächlich mit Kaffeeklatsch beschäftigt war. Und es gab unter anderem noch den Club Motorrad-Sport-Contacte (MSC), eine Gruppe von Lederleuten, die möglicherweise auch Motorrad fuhren. Sie alle an einen Tisch zu bringen, hatten sich Thomas und das Schwulenreferat vorgenommen. Gemeinsam würde man nicht nur unausstehlich, sondern auch stärker sein. Was sich einfach anhört, erwies sich als äußerst schwierig. Jeder wollte da mit seinem eigenen Kopf in eine andere Richtung und durch die Wand. Bei den Diskussionen –oft im alten Prinz-Eisenherz-Buchladen in der Bülowstraße-, flogen die Fetzen und keiner schenkte dem anderen etwas.Aber Thomas` Initiative gelang. Aus den so unterschiedlichen Gruppen ging das Treffen Berliner Schwulengruppen (TBS) hervor. Thomas wäre nicht Thomas gewesen, wenn es sich bei diesem von ihm initiierten Treffen nur um etwas gehandelt hätte, was man heute vielleicht neudeutsch „Konsensgespräche“ nennen könnte. Mit Umsicht und Zähigkeit schaffte Thomas es, den von ihm als richtig erkannten Standpunkt durchzusetzen. Und der hieß: jawohl, wir müssen uns zusammentun damit wir als Schwule in der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen werden. Aber nicht um den Preis der Gleichschaltung und Anpassung! Gemeinsam ja, aber in Vielfalt und jeder unter Wahrung der eigenen Identität. Jedem schwule Mann seine eigene schwule Facon. Wer nur bürgerliche Erwartungshaltungen bedient und immer nur den netten Schwulen von nebenan gibt, der der Omi die Tasche in den 4. Stock raufträgt, bringt uns in der Sache nicht weiter. Ja, das war Thomas` Position und darüber ließ er nicht mit sich reden. Natürlich hat er – davon bin ich überzeugt – manch alter Omi in seiner Nachbarschaft die Tasche raufgetragen.Ach, das war eine fruchtbare Zeit. Aus dem Treffen der Berliner Schwulengruppen (TBS) erwuchs dann eine Telefonberatungsstelle. Wir waren überzeugt, das auch Berlin – wie San Francisco und New York – ein Gay Switchboard bräuchte und nannten es etwas altertümlich „Telfonberatungsstelle“. So konnte man das eingeführte Kürzel „TBS“ weiterverwenden und dezent auf seinen Träger hinweisen. Als es darum ging, aus den Plänen Wirklichkeit werden zu lassen und anzupacken, was Thomas zur Stelle. Zusammen mit dem Rechtsreferendar Jörg Stubben, von dem wir uns schon vor vielen Jahren, auch auf dem St.-Matthäus-Kirchhof, verabschieden mussten, hat Thomas die Telefonberatungsstelle aufgebaut. Eine Anlaufstelle für alle Lebenslagen, Erste Hilfe für die Gay Community, ob nun ein schwuler Rechtsanwalt gesucht, dem rausgeschmissenen Lebensabschnittspartner eine Unterkunft oder einem Kranken ein einschlägiger Arzt vermittelt werden musste. Sie zog später an den Nollendorfplatz und änderte ihren Namen in Mann-O-Meter. Die Zahl der Kontaktaufnahmen liegt derzeit bei 36.0000 pro Jahr. Ohne Thomas tatkräftigen Einsatz vor mehr als zwanzig Jahren gäbe es diese erfolgreiche Berliner Institution nicht.Aber ich bin keineswegs am Ende. Denn aus dem Treffen der Berliner Schwulengruppen ging auch die „Siegessäule“ hervor. Der Anspruch war hochgesteckt: man versprach den Lesern, sie nicht nur über alles, was Schwule interessiert, auf dem Laufenden zu halten. Von Leuten aus dieser Stadt für Leute in dieser Stadt wollte man berichten. Berlin nicht nur von hinten, sondern auch von oben betrachten. Und über den Tellerrand hinausschauen – so steht es ausdrücklich im Editorial der ersten Nummer im April 1984. Auch die Siegessäule also ein Projekt, um die Sprachlosigkeit der Schwulen in dieser Stadt zu beenden. Auch hier war Thomas mit vollem Engagement bei der Sache, Redakteur der ersten Stunde, im Impressum nachzulesen. Und so schaute man auch über den Tellerrand, das alte Westberlin also, hinaus. Es gab polnische Kochrezepte, als kaum einer dort hinfahren konnte. Der derzeitige Chefdirigent der Berliner Philharmoniker wurde bereits 1984 mit enthusiastischen Lob vorgestellt, als noch so gut wie niemand in der Stadt den Namen Simon Rattle je gehört hatte. Und im Moskitonetz, so hieß der Kleinanzeigenteil lange, konnten Kontakte geknüpft werden. Ohne Thomas hätte auch die „Siegessäule“ nicht das Licht der Welt erblickt. Keiner, der dabei war, wird seinen Einsatz und sein Engagement vergessen. So einen Unermüdlichen wie Thomas gab es nicht noch einmal!Dann aber blicktest Du nicht nur über den Tellerrand hinaus, sondern suchtest jenseits des alten Westberlin Dein Glück. England, Dänemark und Holland waren die weiteren Stationen Deines Lebens – eine Zeit über die ich wenig weiß. Dort hat Du Liebe und Zuneigung gefunden und gegeben. Das waren, da bin ich sicher, wichtige und entscheidende Abschnitte Deines Lebens. Ohne sie wärest Du nicht, der Du zuletzt gewesen bist.Zur Jahrtausendwende kamst Du zurück nach Berlin. Einen eindrucksvolleren Lebenslauf als den von Dir im Jahre 2000 verfassten habe ich selten gelesen. Auch dort, in Dänemark und Holland, hast Du mit unvermindertem Elan weiter für die Verbesserung der Lebenssituation der Schwulen gekämpft. Die Liste der Projekte, die Du auch dort angestossen und aufgebaut hast, ist von beeindruckender Länge. Wer Dich aus Deiner ersten Berliner Zeit kannte, den wundert das nicht. Die Probleme im Umgang mit HIV und AIDS wurden mehr und mehr zum beherrschenden Mittelpunkt Deiner Arbeit und Deines Lebens. Du wusstest immer genau, was Du willst: den davon Betroffenen helfen, ihre Situation verbessern und ihnen nach Kräften beistehen.So wurdest Du erneut Mitarbeiter der Schwulenberatung Berlin. Ja, erneut. Denn schon einmal, warst Du es. Als die Schwulenberatung noch in den Kinderschuhen steckte, noch in einem ausrangierten Baucontainer in der Hollmannstraße residierte, noch umständlich „Kommunikations- und Beratungszentrum homosexueller Frauen und Männer“ hiess, warst Du schon einmal als Praktikant bei uns. Deine Ausbildung hast du neben all Deinen sonstigen Aktivitäten niemals vernachlässigt.Wir freuten uns, dass Du wieder bei uns warst. Eine Probezeit gab es nicht. Wir wussten, was wir voneinander zu halten hatten. Du wurdest bald zum Mittelpunkt eines von Dir mit Engagement aufgebauten grossen Gesprächskreises für schwule Männer über 40 mit HIV und AIDS, der sich grossen Zuspruchs von Betroffenen erfreute.Natürlich schränkte Dich die eigene Krankheit zunehmend auch ein. Aber damit wolltest Du Dich nicht abfinden. Du selbst trautest Dir zuletzt auch noch die Ausbildung als Psychologischer Psychotherapeut zu. Du warst zutiefst verstört, als Dir Bürokraten mit fadenscheinigen Argumenten Steine in den Weg legten. Aber auch mit ihnen hast Du noch einmal den Kampf aufgenommen. Später setzten Dir Deine Krankheit und Deine Ärzte noch engere Grenzen. Aber auch während Deiner langen Krankschreibung habe ich Dich oft in der Schwulenberatung getroffen. Und immer ging das Gespräch darum, ob und wann Du denn und in welchem Umfang Du wieder arbeiten könntest, am besten gleich jetzt. Du hast ohne dieses Engagement für Andere nicht sein können. Jetzt müssen wir ohne Dich weitermachen. Das fällt uns schwer. Vergessen können wir Dich, unseren Mitarbeiter und Kollegen, unseren Mitstreiter und Freund so bald nicht. Ich denke gern an viele intensive Gespräche mit Dir. Nun, da Du fehlst, wird auch mein Leben ärmer.Dein allzu früher Tod ist aber auch eine Mahnung an die Lebenden, dass unsere Zeit nicht unendlich ist. Dein Leben, lieber Thomas, ist ein rundes, ein erfülltes und, ach ja, viel zu kurzes Leben gewesen. Dein Tod mahnt uns, dass wir die uns noch verbleibende Zeit nicht mit Sinnlosem ausfüllen. Du hast es nicht getan, sondern was aus Deinem Leben gemacht.
02.09.1954 - 04.08.2003
Nachruf auf Hans Peter Hauschild
Es sollte wieder lauter werden um Hans Peter Hauschild, wie früher, als er in Lederkluft und Holzfällerhemd das Talkshowpublikum mit steilen Thesen zur Prävention schockierte. Offen schwul, promisk und positiv brach Hans Peter mit dem Bild der anständigen Aids-Aktivisten, die in Schlips und Kragen um Toleranz und Verständnis warben. Er war der Protagonist jener „Schmuddelkinder“, die politisch durch Aids bedroht waren: Schwule, Junkies, Huren und Stricher. Die längere Zeit seines Lebens war Hans Peter eine öffentliche Person: als geschasster Mitarbeiter der Caritas, als Aktivist der Frankfurter und der Deutschen Aids-Hilfe, auch als Berater für abschiebungsbedrohte Flüchtlinge. Danach begann ein neuer Lebensabschnitt: vita contemplativa – zum Beten kam das Schreiben. Drei Bücher sind in diesen wenigen Jahren entstanden: eine Studie über Marienwallfahrtals moderne Praxis im Zeichen Globalisierung, mit der Hans Peter in Kulturwissenschaft promoviert wurde, ein Buch über die Mystik des Sterbens und die Autobiografie eines von ihm betreuten Romajungen. Das letzte Buch über Theologie und Erotik, das Lebensthema von Hans Peter, wird posthum erscheinen. Er brachte wie kein anderer schwule Promiskuität und liturgisch strengen Katholizismusauf einen Nenner. Mit beidem eckte er an. Den einen war er zu lüstern, den anderen zu fromm. Mit dem Buch wollte er wieder aus der Stille auftauchen, eine Debatte anstoßen und zumindest in der Theorie die Lücke schließen, die ihn Zeit seines Lebens geschmerzt hat.
Mehr Informationen zu Hans Peter Hauschild sind unter
zu finden.